Religiosität ist eine psychische Abnormität. Die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) sieht für die Symptomatik einer Religiosität die Diagnose "anhaltende wahnhafte Störung" vor (Code F22.0). Nicht wortwörtlich, aber nach meiner Lesart.
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Wir leben bedauerlicherweise auch heute noch in einer Zeit, in der es gewisse Menschen für eine recht angemessene Reaktion halten, anderen Menschen mal eben den Kopf abzuschneiden, sofern sie sich von diesen in ihrer Religiosität beleidigt fühlen. Das ist zugegebenermassen ein Extrembeispiel. Aber es soll illustrieren, wie Religiosität zu Taten führen kann, die nicht so unbedingt wünschenswert sind, weil sie jeder gesunden, aufgeklärten Vorstellung von Moral und Logik diametral zuwiderlaufen.
Weltanschauungen und Religionszugehörigkeiten sind im demokratischen Rechtsstaat frei wählbar. Das ist gut so und soll auch so bleiben. Es liegt mir fern, jemanden seiner Glaubens- und Gewissensfreiheit zu berauben oder deshalb zu diskriminieren. Diskriminierung ist ohnehin grundsätzlich unmoralisch und blöd. Ich bin aber der Auffassung, im Rahmen meiner Meinungsäusserungsfreiheit zulässig vermuten zu dürfen, bei Religiosität handle es sich um pathologischen Wahn. Dadurch verunglimpfe ich weder die Religionen noch ihre Anhängerschaften. Im Gegenteil: Ich anerkenne bloss barmherzig eine Krankheit.
Diese Sprechstunde ist wie folgt gegliedert:
Religion kurz und bündig
Eine Religion erhebt üblicherweise den Anspruch, die Kardinalfragen des Lebens zu beantworten. Im Wesentlichen sind dies die beiden Fragen nach dem Ursprung allen Seins sowie nach dem Sinn und Zweck dieses Seins. Die grossen Weltreligionen - mit Ausnahme des Buddhismus, der eher als Wertesystem zu sehen ist - beantworten diese Fragen mit fiktionalen Erzählungen. Konstituierende Elemente religiöser Erzählungen sind eine übernatürliche Allmacht (Gott / Götter) und ein im Menschen verwurzeltes Bindeglied zu dieser Allmacht (Seele). Die Überlieferungen werden für gewöhnlich mit diversen lebenspraktischen Geboten und Verboten angereichert, deren diesseitige Befolgung es den Menschen erlauben soll, sich im Jenseits wieder mit der übernatürlichen Macht zu vereinen.
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Wie oben gezeigt geben Religionen also vor, über Antworten auf Fragen zu verfügen, die ihrem Wesen nach nicht objektiv beantwortbar sind. Weil es nun aber keine wissenschaftlich überprüfbaren Antworten gibt, liefert jede Religion ihre je eigene frei erfundene Erklärung, die man dann einfach mal schön zu glauben habe, zumal sie göttlich inspiriert und über Jahrhunderte überliefert sei. Das Christentum bietet ein episches Märchen über einen aufsässigen palästinensischen Juden namens Jesus dar, der Islam erzählt vom Leben und Wirken Mohammeds, eines Schafhirten aus Mekka - und den psychedelischen Hinduismus mit seinen unzähligen Göttern und Geschichten überblickt sowieso kein Mensch.
Jede Religion - zumindest die theistischen - stellt sich auf den Standpunkt, nur ihr Märchen sei das einzig wahre und die Märchen der anderen Religionen bloss dumpfer Irr- oder sogar garstiger Unglaube. Dieser ewige "Krieg der Märchen" wäre an sich ja ganz drollig, nur leider entladen sich die Exklusivitäts- und Wahrhaftigkeitsansprüche der Religionen immer mal wieder in gewalttätigen Auseinandersetzungen wie Kriegen oder Terrorakten. Die Meinungsverschiedenheiten laufen in etwa nach diesem Schema ab:
A: "Meine Religion ist die einzig wahre, yay!" B: "Nope, deine Religion ist Grütze, meine ist wahr." A: "Okay, mir reicht's, ich schneide Dir jetzt den Kopf ab."
Ein Streit darüber, welches Märchen der Wahrheit entspricht, ist per se völlig absurd, weil niemand je den Beweis wird führen können, dass ein Märchen wahr oder ein anderes Märchen falsch ist. Das liegt ja auch irgendwie in der Natur der Sache: Wenn es eine diesbezügliche, kognitiv erfahrbare Wahrheit gäbe, bräuchte es schlicht keinen Glauben mehr. Niemand muss daran glauben, dass Wasser bei Zimmertemperatur flüssig ist, man kann sich ohne Weiteres selbst davon überzeugen. Prosit.
DIY: Wir basteln uns eine Religion
Die Absurdität religiöser Streitigkeiten wie im vorigen Abschnitt beschrieben lässt sich gut illustrieren, wenn wir uns eine eigene Religion basteln. Zunächst brauchen wir eine griffige Schöpfungsgeschichte:
Das Universum wurde vor genau 42 Milliarden Jahren von einem unsterblichen, selbstreplizierenden Netzwerkwesen namens Jens-Peter geschaffen. Jeder Knotenpunkt von Jens-Peter ist azurblau, hat Form und Beschaffenheit eines fluffigen Muffins, lebt im Inneren eines Neutronensterns und bastelt gerne Scherenschnitte. Mit jedem fertigen Scherenschnitt wird eine neue Seele geboren.
Schöpfungsgeschichte: Check! Was noch? Irgendwas über den Sinn des Lebens und was die Seelen im Diesseits so alles tun sollten, um dann im Jenseits heile zu werden. Na schön:
Der Sinn des Lebens besteht darin, dass jede Seele zur Vollkommenheit strebt. Ist sie erreicht, wird die Seele eins mit Jens-Peter und darf fortan bis in alle Ewigkeit Scherenschnitte basteln. Dazu muss das beseelte Lebewesen genau 42 Muffins pro Halbjahr verspeisen, mindestens einmal pro Tag ein Blatt Papier doppelt falten und sich im Alter von 84 Jahren mit einer rostigen Schere lobotomisieren.
Wunderbar, wir haben eine neue Religion, war gar nicht mal so schwer. Natürlich ist das hirnverbrannter Unfug. Aber: Weshalb ist mein frei erfundenes Märchen schlechter oder unglaubwürdiger als dasjenige einer althergebrachten Religion? Weil es ihm an Breitenwirkung fehlt? Weil es nicht mindestens tausend Buchseiten mit verschwurbelten, gestelzten Versen füllt? Weil es neu ist? Wird wohl so sein. Nur: Auch wenn ein Märchen eine breite Fanbasis hat, langfädig erzählt und steinalt ist - es bleibt trotzdem ein Märchen; halt einfach ein erfolgreicheres als meins, weil ich als Religionsstifter nichts tauge.
Die Diagnose
Fein, kommen wir also nun zum Pathologischen. Wie gelange ich zur Behauptung, Religiosität sei eine anhaltende wahnhafte Störung? Deswegen: Eine Wahnidee ist nach gängiger Lehrmeinung gegeben, wenn sie die sog. Jasperssche Trias erfüllt. Demnach hat die Wahnidee diese drei Eigenschaften:
Der Patient ist von der Idee fest überzeugt.
Der Patient betrachtet die Idee als unbeeinflussbar.
Die Idee hat einen objektiv unmöglichen Inhalt.
Wir wenden dieses Schema mal eben auf Religiosität an:
Der Gläubige ist von seiner Religion fest überzeugt.
Der Gläubige betrachtet die Religion als unbeeinflussbar.
Die Religion hat einen objektiv unmöglichen Inhalt.
Oha, passt. Aber gut, bei den Punkten 2 und 3 müssen wir etwas nachschärfen: Die Unbeeinflussbarkeit ergibt sich aus dem Wahrheits- und Exklusivitätsanspruch einer Religion, wonach es den Anhängern nicht zusteht, das Glaubensgebäude zu hinterfragen. Und der objektiv unmögliche Inhalt lässt sich aus der Tatsache ableiten, dass das jeweilige Märchen weder bewiesen noch widerlegt werden kann.
Meine Diagnose wird ferner erhärtet durch den Umstand, dass Wahnvorstellungen im Sinne von F22.0 (ICD-10) oft Ähnlichkeiten mit einem Typus von Denkstörungen aufwiesen, die als überwertige Ideen bezeichnet werden (landläufig: Fixe Ideen). Solche überwertigen Ideen gründen auf einem dauerhaften, emotional besetzten Leitgedanken, der das Leben prägt und woraus Vorstellungen und Handlungen abgeleitet werden. Überwertige Ideen trifft man häufig bei religiösen Fundamentalisten an. Da stellt sich dann gleich die Frage nach dem "Phasenübergang" von normaler zu fundamentalistischer Religiosität.
Ich meine, dieser Übergang befinde sich exakt dort, wo ein Mensch aufhört, einfach nur still vor sich hin zu glauben und stattdessen beginnt, motiviert durch seinen Glauben im Aussen zu handeln und diese Handlungen mit religiös besetzten Gründen zu rechtfertigen. Beispiele dafür sind das Schlachten von Tieren ohne vorherige Betäubung, die Ablehnung von Bluttransfusionen, oder in islamisch geprägten Ländern gerne auch die Steinigung von Gesetzesbrechern. Der eigentliche Wahn beginnt in einer wohl sehr milden Form zwar bereits mit der initialen Aufnahme einer Religiosität, potenziell übel für Dritte wird's jedoch erst bei eher schweren Verläufen, worin der Wahn dann auch externalisiert wird.
Moral ist keine Glaubensfrage
Echte Werte - also Werte im moralischen Sinn - sind universell, das habe ich bereits in meinem Beitrag zur Idiotie im politischen Betrieb dargelegt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Werten sollte man folglich der Moralphilosophie respektive der Ethik überlassen. Umso mehr noch, als Religionen bei wörtlicher Auslegung häufig zu offenkundig unmoralischen Ergebnissen führen wie beispielsweise:
Todesstrafe für Homosexualität
Todesstrafe für Ehebruch
Todesstrafe für [you name it]
Unterdrückung von Frauen
Moral lässt sich ohne Weiteres direkt herleiten. Es ist nicht einsichtig, weshalb man dafür einen Umweg via Religionen beschreiten sollte. Zumal auf diesem Umweg auch noch die Gefahr von Urteilstrübungen lauert, da die Versuchung besteht, ein Wertesystem auf das vermutete Wohlgefallen einer imaginierten Gottheit auszurichten. Darüber hinaus ist die Befolgung moralischer Gebote und Verbote bereits in sich vernünftig. Diese Befolgung wird entwertet, wenn ihre Triebfeder lediglich in der egoistischen Erwartung besteht, dass darob die Gottheit im Jenseits ihr Seelenheilsversprechen einlösen wird.
Es ginge auch kürzer: Auf dem Fundament einer Wahnidee ein Wertesystem errichten? Echt jetzt?
Juristischer Sondermüll
Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft beginnt mit den Worten "Im Namen Gottes des Allmächtigen!", was man aus religiöser Sicht durchaus als Beleidigung verstehen könnte: Der Mensch masst sich hier an, stellvertretend für Gott zu sprechen, für ein allmächtiges übernatürliches Wesen. Korrigiere: Fabelwesen.
Aber auch abseits dieses anmassenden Unsinns haben solche Passagen in den Gesetzestexten eines säkularen Staates nichts verloren, weder in der Bundes- noch in den Kantonsverfassungen, worin Landeskirchen anerkannt und geregelt werden. Ein Staatswesen hat sich, wenn es echten Fortschritt befördern will, nicht mal ansatzweise an Märchen oder Wahnideen zu orientieren, sondern einzig an theoretischer und praktischer Vernunft, das heisst an Moral und Logik. Und genau deshalb muss sich das Staatswesen einer aufgeklärten Gesellschaft, die sich aufrichtig von mittelalterlichen Dogmen befreit hat, vollständig vom Glauben abkapseln.
Fazit
Der Mensch scheint den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit leider noch immer nicht so ganz gefunden zu haben. Der arme Kant muss sich wohl weiterhin im Grabe umdrehen...
Hallo, ich wollte zu meinem Kommentar vorher noch zus. verfassen: Ich bin überhaupt kein Gegner der Naturwissenschaft. Im Gegenteil finde ich, ist sie das richtige Werkzeug um Erkenntnis zu gewinnen. Allerdings hat die NW per dato keine schlüssige und allg. akzeptierte Erklärung für unsere Existenz. Aber sie bzw. viele Vertreter von ihr verhalten sich analog wie andere religiöse Fanatiker und Fundamentalisten früher, in dem sie behauptet es wäre so und man hätte die Wahrheit bereits gefunden. Gott sei quasi von Throne gestossen. Da die NW aber aktuell keine abschliessende Antwort auf unsere Existenz hat, muss sie vor Ockhams Razor verworfen werden, da nur vor Ockham gebracht werden darf, was erklären kann. Daher: Im Stillen thront sie noch immer, die spirituelle…
Zum Wesen von Religion und Philosophie
Doch, ich habe den Ausgang aus meiner selbstverschuldeten Unmündigkeit gefunden, bin mündig geworden und denke selbst, dies ist mein Zeugnis zu Ihrem Text:
Nein! Religion ist keine psychische Abnormität, sondern Normalität selbst, ja Wesenskern des Bewusstseins schlechthin und überhaupt.
Moral und ihre Begründung
Moral ist entgegen Ihrer Behauptung nicht per se ohne Weiteres direkt herleitbar. Es gibt auch philosophische Positionen, welche die Unbegründbarkeit der Moral postulieren und dagegen auch Menschen, welche z.B. eine transzendentalpragmatische Letztbegründung verfechten. (Apel) Jedenfalls braucht Moral & Ethik Begründung und eine solche muss man zuerst finden oder wie alles in der Schöpfung als Schöpfer: (sinnvoll) selbst erschaffen. Ich behaupte sogar an dieser Stelle stink-frech, dass Moral ohne Religion grundsätzlich nicht…
Glaube ist was anderes als Religion.